Eine Viertelstunde von Moischeid, da, wo sich die Gilsa nach Süden wendet, erhebt sich der Schlossberg mit den Trümmern der Burg Schönstein. Die Ruine liegt auf dem letzten westlichen Vorsprung des Königsberges. Nach drei Seiten hin fällt der Schlossberg steil ab, nur im Osten war die Burg durch Wall und Graben geschützt. Eine Zugbrücke führte auf dieser Seite auf einen in den Felsen gehauenen Weg, auf dem man in das südlich gelegene Dorf Schönau gelangt. Diesen Felsenweg benutzten die Reisigen, wenn sie hinauf zur Burg reiten wollten. Auf der Westseite dagegen führte ein steiler, steiniger Pfad hinab ins Tal der Gilsa. Dieser Weg wurde der „Eselsweg" genannt, weil ein Esel auf diesem Pfad die Burg mit Wasser versorgte. Im Angesicht der Burg lag früher die kleine Schloßmühle, deren Räder von der Gilsa getrieben wurden. Unweit der Mühle quillt im Wiesengrund, geheimnisvoll unter dichten Erlen versteckt, ein kleines Börnchen. Am Rande mit einer Mauer eingefasst, nicht allzu groß, war es doch so tief, dass man zehn Heubäume aneinanderbinden musste, um endlich Grund zu finden. Eine kleine Steintreppe führte hinab zur Quelle. Dieses Börnchen heißt das Glockenbörchnen.

Als im Jahre 1484 Junker Kunzmann von Falkenberg die Burg Schönstein zerstörte, ließ er, so erzählt die Sage, das silberne Turmglöckchen der Burg in den genannten Brunnen werfen. Dieses Glöckchen ertönt manchmal um Mitternacht aus der Tiefe durch das stille Tälchen, als wollte es die zerstörte Burg betrauern. Mancher Wanderer, der zur Geisterstunde einsam auf der nahen Heerstraße zog, hörte erschauernd von ferne das Glöckchen wimmern, ohne zu ahnen, woher die geheimnisvollen Töne kamen. Später ging in der Gegend die Sage um, wer das Glöckchen hebe, der werde durch den Besitz desselben steinreich. Doch so leicht war das Heben nicht durchzuführen. In einer dunklen, stürmischen Herbstnacht konnte es nur geschehen; auch durfte der Schatzgräber die Wünschelrute, das Hauptzaubermittel, nicht vergessen. Obendrein durfte beim Heben kein Wort gesprochen werden, sonst war alle Mühe vergebens.

In dem nicht allzu weit entfernten Dorf Josbach lebten einst drei Männer, die durch ihren enormen Geiz und ihre Habgier in der ganzen Gegend berüchtigt waren. Diese beschlossen das Glöckchen zu heben. Ihr Anführer, ein älterer Mann, war nicht nur im Besitz einer Wünschelrute, sondern besaß auch die Zauberformel, mit der allein man verborgene Schätze heben konnte. Nachdem die drei lange beraten hatten, wurde ein Tag zur Ausführung ihres Vorhabens bestimmt.

Es war an einem überaus stürmischen, rauen Herbsttage. Schon war die neunte Abendstunde längst vorüber, da sah man drei dunkle Gestalten den Weg über den Lischeider Berg einschlagen. Es war stockdunkel, man sah keine Hand vor den Augen. Nur das spärliche Licht einer Laterne zeigte den drei Männern den Weg. Der Sturm beugte heulend die Äste der Bäume, als wären es Gerten. Rauschend strömte der Regen hernieder. Den Schatzgräbern grauste es bei diesem Wetter. Eben langten sie in dem engen Gilsatälchen an, als die Turmuhr des nahen Dorfes Moischeid die Geisterstunde verkündete. Gleich darauf ertönte das Horn des eifrigen Wächters, der die zwölfte Stunde abblies. Schweigend nahten sich die drei Gesellen dem verhängnisvollen Börnchen. Der Regen hatte etwas nachgelassen, nur der Sturm wütete in unverminderter Stärke fort. Von der nahen Ruine ertönte der grelle Schrei des Steinkauzes, als die drei Männer am Börnchen anlangten. Nun begannen sie in aller Stille ihre Vorbereitungen. Als dieses geschehen war, umstanden sie den Brunnen. Der Älteste trat mit der Wünschelrute vor und murmelte dreimal die Zauberformel. Als er sie zum dritten Male gesprochen hatte, hörte man ein dumpfes Rollen im Grunde des Börnchens. Die Oberfläche des Wassers bewegte sich, das Glöckchen kam zum Vorschein und der helle Silberschein spiegelte sich in dem Wasser. Alle drei griffen danach und hoben aus Leibeskräften. Schon hatten sie das Glöckchen am oberen Rande des Brunnens, schon wähnten sie sich im sicheren Besitze des silbernen Kleinods. Um noch besser heben zu können, wollte einer noch einmal kräftig in die Hände spucken und sagte zum Nachbar: „Halt fest!" Da ertönte ein furchtbarer Schlag, ein Plätschern wurde hörbar und - verschwunden war das Glöckchen. Unsere drei Schatzgräber lagen betäubt auf der Wiese. Nach einer Weile rafften sie sich wieder auf, hüteten sich aber, an dieser Stelle nur noch ein Wort zusprechen. Ohne Laterne traten sie schleunigst den Rückweg an; denn der Träger derselben hatte sie im ersten Schreck in den Brunnen fallen lassen. Erst als sie den Buchberg hinab stiegen, öffnete der Alte seinen Mund und überschüttete den Nachbarn mit Vorwürfen, weil dieser während des Hebens gesprochen hatte. Der aber schwieg nicht stille, und bald lagen sich alle drei in den Haaren und verprügelten sich gehörig. Niemand hätte etwas von dem Vorfall erfahren, wenn es die drei in ihrer Wut, die sie nun aufeinander hatten, nicht selbst ausgeplaudert hätten. Im ganzen Dorf hießen sie von der Zeit an die Schatzgräber. Die Lust, das Glöckchen zu heben, war ihnen für immer vergangen. Die Burgfrau aber nahm das Glöckchen in ihre Hut und verbarg es. Bis auf den heutigen Tag weiß niemand sein Versteck. Auch das Börnchen ist nur noch teilweise vorhanden, die alte Schloßmühle aber vor vielen, vielen Jahren abgebrochen und verschwunden.

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